Lemma - Akademie, Ausbildung, Kunst, Künstler, Kunstsystem
Ruediger John

aus Notizen*, die ich vorbereitend und während der Veranstaltung zur Unterstützung der Moderation machte und Bemerkungen* aus der Erstellung der Publikation - Auszug: »[...] Die Frage nach der Akzeptanz von Kunst stellt sich gar nicht mehr, sondern es geht um die Frage nach der Organisation von Kultur. [...]« (Paul Uwe Dreyer) Die Akademie ist Teil des Kunstsystems und dieses ist wiederum gekoppelt an das Gesellschaftssystem, sie bildet folglich deren Einflüsse in der Ausbildung und Beschäftigung im Bereich der Kunst ab. Wesentlichen Einfluß auf das Gesellschaftssystem hat Politik und Wirtschaft. Die Ausbildung in Kunst und deren öffentliche Förderung sind Instrumente der Politik; Zielsetzungen (Tendenzen aus dem Prozeß) dieser bestimmen also wesentlich das Erscheinungsbild Akademie.

»[...] An der Akzeptanz der Kunst wird die Toleranz der Gesellschaft definiert. Sie gerät deshalb in eine gesellschaftliche Position des gar nicht mehr Bestrittenen oder Befragten. Die Kunst wird als Kulturträger gesellschaftlich verwaltet, ihr kritischer, utopischer Fundus wird strukturell wegverwaltet. Das zentrale Problem ist die Nutzbarmachung der Kunst und die damit verbundene Gefahr für sie. [...]« (Paul Uwe Dreyer) Die Nutzbarmachung spezifischer Merkmale des Kunstsystems durch andere, und umgekehrt ist keine Entwicklung. Lediglich Kommunikationsrelationen verschieben sich (bspw. Wirtschaft als »Nutznießer« von Kunst, statt in der Vergangenheit die Kirche). Dabei wird nicht in erster Linie das System Kunst an sich gefährdet, sondern ein bestimmtes Kunstverständnis und damit verbundene Arbeitsweisen und Inhalte in Frage gestellt.

»[...] Typ 1 [der Beschreibung der »Funktion« von »Freier Kunst«] ist am gängigsten und geht ganz essentialistisch von der Kunst aus: Im Dienste der Kunst soll kompromißlos deren Ausdifferenzierung fortgeschrieben werden, möglichst ohne Rücksicht auf exmanente Dimensionen wie etwa Raum, Zeit, Geld usw. sowie die gesamten lebensweltlichen Kontexte der Produzenten. [...]« (Holger Kube Ventura) Eine Ausdifferenzierung der Kunst als System schließt notwendigerweise Raum, Zeit, Gesellschaft mit ein. Hier wird von einem Abstraktum »Kunst« (ex actus) ausgegangen, das von umweltlichen Einflüssen (Systemen) entkoppelt ist (vgl. 18. Jhdt. »Admiratio«). Inwieweit die Mehrheit der Künstler in der Beschäftigung der Ausdifferenzierung dieser anzusiedeln sei, ist zunächst nur eine subjektive Annahme.

»[...] Das Problem der Akademien liegt demnach also nicht bei den Akademien selbst, sondern bei deren Schülern. Das Grundmuster ihres Erfolges lautet: Idealismus, Trinkfestigkeit, optimistische Jugendlichkeit und Aufbegehren einerseits, ein fester Blick für das Establishment - wer ist wer und wer davon ist wichtig - sowie ein gewisses Maß an Skrupellosigkeit andererseits: Denn wir haben es in der Kunst, wie jeder weiß, mit einem Betrieb zu tun, der knallhart dem Einzelkämpfertum verpflichtet ist. [...] Die Forderung, daß akademische Strukturen mit der Zeit gehen und sich für die Anliegen der jeweils jungen Künstlergeneration öffnen müssen, ist richtig und wichtig. [...] Tatsächlich ist es notwendig, das KunststudentInnen mehr vermittelt bekommen, als die reine, am Meister und am Meisterwerk orientierte, kunstimmanente Lehre. Z.B. konkrete Erfahrungen mit der Ausstellungspraxis. [...] Konkret ginge es um Projektangebote, bei denen der Prozeß hin zur Ausstellung im Vordergrund steht, die die Selbstorganisation und Eigeninitiative von Student- Innen nicht nur fordern, sondern auch fördern. Solche Infrastrukturen gab und gibt es außerhalb des Akademiebetriebes. Dieser sei gefordert, Kooperationsbereitschaft zu signalisieren. [...]« (Iris Dressler, Hans Dieter Christ) Von der »Typisierung« der Kunststudenten über die Innovationsforderung an die Akademien zu einem Beispiel der Schaffung einer Einrichtung, die einen Auftrag an die Akademie in einer Ersatzstruktur abbilden soll, statt die Form und Inhalte der Akademie in Frage zu stellen. Eine affirmative Aktivität; grundsätzliche Bedingungen werden dabei akzeptiert, da sich in der Ersatzstruktur neue Möglichkeiten künstlerischer Veranstaltungskultur bilden können. Die Fragestellung nach der Funktion der Lehre und Lehrinstitutionen findet nicht statt.

»[...] »Bis heute »verfügt« die Fachgruppe 'Freie Kunst' als einziger Bereich über keine Prüfungs- und Studienordnung. Unter anderem hing der Verzicht damit zusammen, daß sich künstlerische Kriterien nur bedingt objektivieren, schon gar nicht in Studienordnungen schreiben lassen«. (W.Kermer, op.cit.). [...] scheint mir doch diese Position typisch zu sein für das Selbstverständnis westeuropäischer Akademien heute. Man könnte sich fragen, ob diese Sicht der Dinge heute noch immer tragbar ist; vor allem scheint mir berechtigt zu fragen, wie es dazu kam, daß eine Hochschule von sich aus auf den Kern ihrer Autorität verzichtet, auf eine Prüfungsund Studienordnung. [...]« (Jean- Baptiste Joly) Die Stuttgarter Akademie hat die Einsicht, daß künstlerische Inhalte nicht innerhalb der Grenzen einer Akademie bewertbar sind, früh erkannt und keine Prüfungsordnung festgelegt. Aber auch Studienordnungen, d.h. Inhalte und damit die Zielsetzung der Ausbildung wurden nicht definiert. Offenbar ging/geht man davon aus, daß es Aufgabe der Akademie sei, künstlerische Inhalte zu lehren, was man als nur als individuell oder nicht lösbare Aufgabe ansah/ansieht. In diesem traditionalen Verständnis von Lehre bedeutet dies eben auch einen Autoriätsverzicht. Jedoch in einem Akademie- und Lehrverständnis das im wesentlichen auf der Vermittlung von Reflexionswissen (und zusätzlich evtl. fachpraktischen Kenntnissen und Handlungsweisen) basiert, ist Autorität nicht mehr an Prüfungsordnungen (als Vehikel der Bewertung künstlerischer Tätigkeit, also als Ordnungsprinzip) gebunden, sondern vielmehr eher an die Auswirkungen, die die »Forschungsleistungen« der Akademie und deren Applikation auf Staat und Gesellschaft haben. Dementsprechende Ausbildungsinhalte und -notwendigkeiten festzustellen und zu organisieren (evtl. zu institutionalisieren, d.h. eine »Akademie« zu schaffen) ist eigentliche Anforderung. Es stellt sich die Frage, ob diese Reform innerhalb und durch die Organisation Akademie leistbar ist (strukturelle Barrieren, Systemblindheit).

»[...] Persönlich favorisiere ich die Figur des »berufenen Genies« durch die der »AutodidaktIn« zu ersetzen, die sich schlußendlich - auch im Kontext einer Kunsthochschule - selbst ausbildet oder durch die Figur der »genialen Dilettanten« [...]« »[...] Der Einrichtung postgradualer Studiengänge kommt nicht zuletzt auch deshalb Bedeutung zu, um einer tendenziösen Degradierung von Kunst und Kultur zur reinen Dienstleistung entgegenzuwirken und die berechtigte Forderung eines »long life learning« [sic] für alle Beteiligten innovativ in Angriff zu nehmen. [...]« (Ute Meta Bauer) Etwas irritierend ist die Hervorhebung des Autodidaktentums, da auch nach postgradualen Studiengängen gefordert wird. Wenn man davon ausgeht, daß ein Autodidakt die optimale Lernstruktur ausbildet, müßte sich die Planung von Studien, auch in der Frage einer (Post- )Diplomierung, an den Bedürfnissen dieser Personen oder besser an der Vorstellung des Typus eines selbstbestimmt Lernenden orientieren. (Herbert Achternbusch, Filmemacher, Theatermann und Autodidakt antwortete auf eine Einladung zu einer Gastvorlesung an die Stuttgarter Akademie einmal folgendes: »Sie werden doch nicht glauben, daß ich dorthingehe, wo man das umbringt, was ich schätze. Nein, danke.«). Inwieweit einer »Degradierung von Kunst« durch zusätzliche Studienangebote entgegengewirkt werden soll, und welches die Maßstäbe dieser Bewertung sind, bleibt unklar.

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Die Diskussion zeigt, daß einige Verantwortungsträger hinsichtlich der Auswirkung und Abhängigkeit der Künstler und Akademien in Staat und Gesellschaft sensibilisiert sind und Kriterien und Problemstellungen benennen; konkrete Maßnahmen und Alternativen zur Lösung dieser scheinen jedoch aus verschiedenen Gründen nur gering vorhanden. Einigkeit herrscht in der Forderung nach Reformen in der künstlerischen Ausbildung. In ursächlichem Zusammenhang steht dazu ein, wenn auch in Teilbereichen unterdrücktes, weil nicht reflektiertes, gewandeltes Gesellschafts- und Weltverständnis, das sich auch auf das System Kunst auswirkt.

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[*Die Zitate stammen sämtlich aus dieser Publikation]

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