Simonetta Carbonaro und Dr. Christian Votava im Gespräch mit Klaus Heid
Karlsruhe, 24. April 2002

»Wenn das Ethische fehlt, fehlt die Schönheit«

Die Unternehmensberatung >Realise Strategic Consultants< von Simonetta Carbonaro (47) und Dr. Christian Votava (48) in Karlsruhe unterstützt auf einer breiten interkulturellen und interdisziplinären Grundlage Unternehmen bei deren strategischer Ausrichtung. Das Arbeiten in Netzwerken, die Einbeziehung künstlerischer Kompetenz und ästhetischer Humanismus sind ihr Credo.

Das neue >Realise<-Büro wurde vor Kurzem in einem Ladengeschäft ganz in der Nähe des ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie) eröffnet. Die drei Arbeitsräume sind hell und mit freundlich-funktionalen Büromöbeln von IKEA eingerichtet. Die Wände sind noch kahl, es gibt nichts zu sehen, aber genügend Stoff für das Gespräch. Es ist 10 Uhr morgens und Simonetta Carbonaro ist die erste Italienerin, die ich zu dieser Uhrzeit Tee trinken sehe – die Kaffeemaschine wurde noch nicht geliefert.

Simonetta Carbonaro ist gebürtige Mailänderin. Sie studierte Psychologie in Italien, arbeitete in Deutschland auf dem Gebiet der Arbeitswissenschaften und versuchte, in den USA zu leben und dort als Journalistin zu arbeiten. Der Versuch schlug fehl, weil sie, wie sie sagt, absolut keine Ader für Small Talk hat. Zurück in Mailand schloss sie sich Anfang der 80er Jahre der Bewegung des >Radical Designs< und der Memphis-Szene an. Seit zehn Jahren übt sie eine Lehrtätigkeit an der >Domus Academy< aus, eine »faszinierende und typisch italienische Kultstätte«, an der Architekten, Designer, Künstler und Unternehmer neue Wege suchen, auf denen man Märkte erfolgreich erschließen kann.

Christian Votava wurde in Wien geboren und wuchs in Belgien auf. Er begann seine berufliche Laufbahn als Chemiker am CNRS in Paris und wechselte dann in die Wirtschaft. Über zehn Jahre bekleidete er führende nationale und internationale Marketing- und Vertriebspositionen bei Siemens. Danach war er Berater bei verschiedenen Consultant-Unternehmen, wo er Marketing- und Organisationsprojekte in den Branchen Finanzdienstleistung, Investitionsgüter und Handel verantwortete sowie das Management bei strategischen und taktischen Entscheidungen begleitete.

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Frau Carbonaro, Herr Votava, was würden Sie zur Zeit einem mittelständischen Unternehmer raten, dem es, wie so vielen, schlecht geht, der möglicherweise am Rande der Insolvenz steht? Wie sollte er auf die wirtschaftliche Krise reagieren?

Simonetta Carbonaro: Ich persönlich würde ihm zunächst vermitteln, dass dies eigentlich die beste Lage ist, denn er hat nichts mehr zu verlieren und kann ohne große Ängste heldenhafte Aktionen unternehmen. Ein Held ist jemand, der bereit ist zu sterben. Und in diesem Sinn kann eine Unternehmung, die sich am Rande des Abgrundes befindet, die gegenwärtige Situation als Vorteil verstehen, um etwas total Einzigartiges zu tun, etwas heldenhaftes, etwas, das kreativ ist und das es noch nicht gibt: Das Neue.

Angenommen, Sie hätten mich überzeugt, ein Held werden zu wollen – was soll ich jetzt tun?

Christian Votava: Um diese Frage zu beantworten muss man zunächst die Ursachen der gegenwärtigen Krise verstehen. Mit Gewinn und Verlust sind immer zwei Größen verbunden: die Kosten und der Umsatz, also das, was man aus dem Markt herausholen kann. In Krisenzeiten ist der Blick naturgemäß nur auf die Kostenseite gerichtet. Hier haben viele Unternehmen, die ich kenne, kaum noch Manövriermasse. Denn mit der großen Welle des Re-Engineerings vor ca. 10 Jahren wurden viele Unternehmen alleine auf Effizienz getrimmt – zumindest die Unternehmen, die nicht in Boombranchen wie beispielsweise Telekommunikation tätig sind. Was hat man dadurch erreicht? Die Unternehmen wurden effizienter und haben mehr Gewinn abgeworfen. Damit hat man allerdings auf Kosten der Zukunft gelebt. Denn die Unternehmen haben ihre kreativen Möglichkeiten verloren, um frühzeitig auf die Veränderungen am Markt reagieren zu können. Alle Querdenker sind gegangen, Menschen, die Kreativität verkörpern, sind kaum noch in der Unternehmung. Sie behinderten ja die Effizienz! Jetzt muss man den Preis dafür bezahlen. In solchen Unternehmen ist heute ein radikales Umdenken notwendig. Das verlangt viel Mut von allen Menschen im Unternehmen. Manchmal bringen wir ja erst die Kraft für wahre Veränderungen auf, wenn wir mit dem Rücken an der Wand stehen. Erst dann sind wir offen für >heldenhafte< Ideen und diskutieren sie nicht mehr in endlosen Sitzungen und Ausschüssen zunichte! Für andere Unternehmen wiederum ist der Konkurs die einzige Rettung, um mit einer >heldenhaften< Idee ganz neu anzufangen. Doch das entspricht mehr einer amerikanischen oder auch italienischen Denkweise, wo eine Pleite nicht als Makel ausgelegt wird. Erfolgreiche amerikanische Unternehmer sind im Schnitt zweieinhalb Mal gescheitert!

Simonetta Carbonaro: Ich stimme dem Bild, das Christian entworfen hat zu. Die Industrie hat sich in eine Maschine verwandelt, anstatt sich als lebendigen Organismus zu verstehen, der innerhalb des gesellschaftlichen Organismus aktiv handelt, ihn stimuliert! Diese Form der Wirtschaft hat nicht nur sich selbst, sondern auch die Konsumenten zu Maschinen gemacht. Nun ist der Mechanismus zum Stillstand gekommen.

In der New Economy gab es doch den neuen Ansatz, sich nicht mehr nach dem Abbild einer Maschine zu organisieren, sondern die Organisation und das Arbeiten selbstverantwortlich und vernetzt zu betreiben.

Simonetta Carbonaro: Ja, aber die Inhalte fehlten. Die Struktur hatte sich gewandelt – oder hatte zumindest das Versprechen abgegeben, organischer, vernetzter zu werden –, aber im wirtschaftlichen Sinn fehlte der Inhalt, es gab kein Ziel, außer Spekulation und kurzfristigem Profit. Im kulturellen Sinn war die New Economy anarchistisch, eine Erhebung der Verwirrung.

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