Kommentar zur gesellschaftlichen und politischen Stellung der Kunstakademien
Hinsichtlich der Geschichte der Kunstakademien will ich nur punktuell auf das weisen, was sich noch heute als ihre neuralgischen Stellen erweist:
1. ihr Verhältnis zum Staat
2. ihr Verhältnis zu den Künstlern und damit der Kunst.
Nicht nur die Art und Weise der Ausbildung, sondern die allgemeine Maßstäblichkeit als vom Staat vorgegebene, institutionalisierte Anschauung von Macht, Durchsetzung und Wertung ist dann aber auch der Grund für die zahlreichen Attacken, die von den Künstlern selbst immer wieder gegen die Akademien vorgetragen wurden. Die blumige Sprache des modernen Künstlers scheint sich nicht weit von der seiner Vorfahren um 1800 entfernt zu haben. Was jetzt >Masturbation< und >Leichenhalle< heißt, waren >Myriaden von Maden< und >Mumifizierung<, wie Koch und Schick schrieben. Man wundert sich nur, daß die Akademien diesen unablässigen Angriffen fast zweihundert Jahre standgehalten haben. Aber unabhängig von der Tatsache, daß sich Künstler, Architekten und Kunstschriftsteller über die Akademie und den Akademismus feindselig geäußert haben, läßt sich doch feststellen, daß die Akademien im 18. und 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts von der Eindringlichkeit des Stilwillens geprägt war. Im Kunstverständnis herrschte allgemeiner Konsens über das Schöne, Wahre und Gute. Auf seiner Grundlage konnte die Akademie das Selbstverständnis gesicherter Kunstproduktion als Lehre vertreten. Denn die Kunstauffassung des aufgeklärten Bürgertums war - von wenigen Ausnahmen abgesehen - weitgehend identisch. Es soll nicht unterschlagen werden, daß dabei große Teile der Bevölkerung von der Kultur geradezu ausgeschlossen waren. Ich glaube, daß die Krise der Akademien eigentlich mit dem beginnt, was man die Moderne nennt. Verkürzt gesagt, mit dem Aufkommen der Avantgarde in der Kunst. Die offizielle Kunst trennt sich von der inoffiziellen, genannt >Avantgarde< Mit dem Aufkommen der Avantgarde ist verbunden das Abgleiten der offiziellen Kunst in den >Salon<. Was die deutschen Akademien, schon wegen des Naziterrors von 1933 bis 1945 generell betrifft, so behaupte ich, daß die künstlerische Avantgarde ganz selten bzw. gar nicht als Lehrer berufen wurde. Die Ausnahme bildet das Bauhaus in Weimar und Dessau. Unser Institut wurde nach dem Krieg 1946 auf dem Weißenhof in den Gebäuden der ehemaligen Kunstgewerbeschule als Staatliche Akademie der Bildenden Künste wieder eröffnet. Zur Eröffnung sprach kein Geringerer als der damalige Kultusminister von Württemberg, Professor Dr. Theodor Heuss. Er hat zu dieser Eröffnung ein paar wichtige Sätze gesagt.
Zitat: »... die Akademie soll keiner Richtung gehören. Mit voller Absicht habe ich polare, sachliche Spannungen hier zusammengebracht, das sogenannte Abstrakte neben das Realistische gestellt; dem Expressiven neben dem Naturalistischen einen Lebensraum zugewiesen. ...« Auf die Frage, was sich in Stuttgart im Kunstleben der Akademie, aber auch im öffentlichen Leben in den darauffolgenden Jahren verändert hat, kann man sagen: fast alles oder alles. Es sind ganz andere Voraussetzungen geworden. Es ist auch gar nicht mehr die Frage nach der Akzeptanz von Kunst. Es ist aber die Frage nach der Verwaltung. Die Umstände/Gegebenheiten haben sich völlig verändert. Die Frage nach der Akzeptanz von Kunst stellt sich gar nicht mehr, sondern es geht um die Frage nach der Organisation von Kultur.
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Ein weiterer Aspekt Die Politik entdeckt die Kultur. Fatalerweise wird diese oftmals mit der Kunst gleichgesetzt. An der Akzeptanz der Kunst wird die Toleranz der Gesellschaft definiert. Sie gerät deshalb in eine gesellschaftliche Position des gar nicht mehr Bestrittenen oder Befragten. Die Kunst wird als Kulturträger gesellschaftlich verwaltet, ihr kritischer, utopischer Fundus wird strukturell wegverwaltet. Das zentrale Problem ist die Nutzbarmachung der Kunst und die damit verbundene Gefahr für sie.
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Irritierenderweise ist die Kunst unserer Zeit immer anders und neu, insofern hat sie keine Identität und stellt auch keine in der Gesellschaft her. Entzieht sie sich dann aber nicht der Lernbarkeit, ist sie noch lehrbar? Auf jeden Fall entzieht sie sich jedweder Verfügbarkeit. Auch die Erwartungen an sie werden sich nicht einlösen, denn die Vermittlung von Utopien in die Gestaltung der Wirklichkeit hinein erträumen nicht einmal mehr Fortschrittsdenker. Die Fortschrittsideologen haben den utopischen Fundus für eine zu kleine Münze genommen, organisiert vom Kulturmanagement an die Freizeitindustrie verkauft. Die neue Kunstpolitik unterwirft die Kultur der Massenunterhaltung als Teil der Freizeitgesellschaft. Die Kunst wird ihrer Erkenntniskraft und ihres revolutionären Potentials beraubt, indem man sie auf diejenige ihrer ästhetischen Dimensionen reduziert, die leicht verwertbar ist und zum luxuriösen Bestandteil der Warenproduktion verwendet werden kann. Auch Avantgarde degeneriert oft zu schnell zur Honorations- und Bestätigungskultur.
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