Enno Schmidt im Gespräch mit Klaus Heid
Frankfurt/M., 19. April 2002

»Die vornehmste Aufgabe des Unternehmens besteht darin, sich überflüssig zu machen«

Enno Schmidt (44) begann sein Kunststudium 1980 an der Städelschule in Frankfurt. Dass die ausschließliche Beschäftigung mit der Malerei nicht alles sein kann, wurde ihm Mitte der 80er Jahre klar, u.a. als er sich 1987 am Documenta 8-Kunstprojekt >Omnibus für Direkte Demokratie< beteiligte. Politischen und sozialen Fragen geht er seitdem in verschiedenen interdisziplinären Projekten nach.

Seit etwa zehn Jahren arbeitet Enno Schmidt mit der Wilhelmi Werke AG zusammen, einem mittelständischen Unternehmen in Lahnau, davon von 1996 bis 2001 als Unternehmensbegleiter. Diese Tätigkeit stand im Mittelpunkt unseres Gesprächs, das wir in Frankfurt im >Harvey’s< führten, einer Kneipe am Friedberger Platz, die eine Mischung aus Alternativ- und Szenetreff ist. Man kennt sich, liest Zeitung, nutzt die Kneipe als Arbeitsplatz, kommt mit den Kindern zum Kaffeetrinken. Die Kaffeemaschine lärmt. Eine Wand ist mit einem riesigen, pseudo-mythologischen Bild bemalt – Kitsch-as-Kitsch-can.

Enno Schmidt kann eine Menge erzählen, nicht nur über Mythen in Unternehmen. Zum Beispiel über die der Bochumer GTS (Gemeinnützige Treuhandstelle e.V.) angegliederte >Zukunftsstiftung Soziales Leben<, an der er mitarbeitet und in der versucht wird, den Stiftungsgedanken in Bezug zur gesellschaftlichen Lebenspraxis neu zu formulieren. Oder über seine neueste Aufgabe als Research Fellow an der Oxford Brooks University, wo er am Aufbau des Studiengangs >Social Sculpture< beteiligt ist. Dessen Einrichtung wurde von der südafrikanischen Künstlerin Shelly Sachs initiiert, der Ansatz lautet: >Connected Esthetics<. Die unterschiedlichen Aesthetiken verschiedener gesellschaftlicher Bereiche werden untersucht und miteinander vernetzt. Künstler, Wissenschaftler und Unternehmer bauen an interkulturellen und transdisziplinären Forschungsräumen, die man in England >Imaginationsräume< nennt – ohne dabei Gefahr zu laufen, als Esoteriker diskreditiert zu werden.

In Oxford werden u.a. die Fragen behandelt: Wie sieht das Studium der Zukunft aus? Wie vernetzt sich künstlerische und ästhetische Forschung mit Unternehmen, politischen Entscheidungsträgern, demokratischen Foren, mit Formen der Produktion und des Konsums? Für Schmidt bietet das Kunststudium eine Grundlagenausbildung zur Beantwortung dieser gesellschaftlich relevanten Fragen. Dies setzt allerdings voraus, dass der Künstler Bezug zur gesellschaftlichen Praxis hat. Enno Schmidt kann in dieser Hinsicht auf vielfältige Erfahrungen zurückgreifen, in unserem Gespräch fokussieren wir seine Tätigkeit im Wirtschaftskontext.

Enno Schmidt, wie kamst du dazu, dich mit der Thematik >Kunst und Wirtschaft< zu befassen?

Enno Schmidt: Viele Unternehmen begannen in den 80er Jahren Kunst zu kaufen, zu leasen oder zu leihen. Es war eine richtige Welle, jeder wollte Kunst haben. Aus einer eher oberflächlichen Betrachtungsweise entwickelte sich die Auffassung, Kunst zu sammeln sei gut fürs Image, die Firma bekäme dadurch motiviertere, kreativere und hoch qualifizierte Mitarbeiter. Ich habe den damaligen Boom aber als eine Frage der Unternehmen an die Kunst verstanden. Ich wollte darauf als Künstler antworten, nicht als Geschäftsmann. Meine Antwort war also nicht, möglichst viele Bilder zu verkaufen – eine Antwort, die Geschäftsleute sofort verstehen –, sondern der Frage nachzugehen: Was ist das eigentlich für eine Beziehung zwischen Kunst und Unternehmen, was macht die Kunst in den Unternehmen? Zehn Jahre hatte ich mich nur mit Malerei beschäftigt, nun wurde durch die Unternehmen die Frage nach der Kunst neu gestellt. Mir wurde klar: Die Kunst ist in den Unternehmen. Die Kunst ist da, wo die meisten Menschen arbeiten, wo die Dinge entstehen, die unser Leben am meisten beeinflussen. Die Kunst ist in den Unternehmen, weil sie dort am meisten fehlt.

Dieses Paradox musst du mir erklären.

Enno Schmidt: Wenn man unter Kunst nicht nur Gemälde oder Skulpturen versteht, sondern den Begriff weiter fasst, dann erkennt man sehr schnell, dass die Kunst über den Medien steht. Bei Kunst geht es grundsätzlich um Stimmigkeit, um ein der Sache gemäßes Entwickeln – übrigens auch um die Ökonomie der Arbeit. Wenn man diesen Ansatz verinnerlicht, wird deutlich, dass alle Vorgänge mit Kunst zu tun haben. In allen gesellschaftlichen Bereichen stellt sich die Frage: Wie sind die Dinge wirklich am stimmigsten? Das schließt natürlich die Frage nach der Selbstbestimmung mit ein. Mein Ansatz war: Die anderen Menschen wollen – genau wie ich – ihre Arbeit in einer Form leisten, die ihren Fähigkeiten entspricht, ihrer eigenen Motivation. Das können sie unter den heutigen Produktionsbedingungen nicht, und das sieht man letztendlich den Produkten an. Rein formal kann man an ihnen ablesen: Es stimmt nicht mit der Wirtschaft. Sie ist nicht effektiv, der Wille, der in ihr lebt, ist nicht auf die Menschen gerichtet, ist nicht sinnvoll und nicht ästhetisch. Es wird mit einem Willen produziert, der keine Qualität hat. Was und wie produziert wird, ist allein am Absatz orientiert, nicht am Bedarf anderer.

Bleiben wir zunächst bei den Arbeitsverhältnissen und dem Gegensatz von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung. Künstlerisches Arbeiten gilt als ein Modell für selbstbestimmtes Arbeiten. Doch auch im Künstlerberuf gibt es vielfältige Formen der Fremdbestimmung. Ist das Künstlermodell in dieser Diskussion wirklich beispielhaft?

Enno Schmidt: Als Künstler bist du insofern selbstbestimmt, als dass du die Dinge, an denen du arbeitest, auswählst. Künstler sind nicht frei im Sinn von Beliebigkeit, sondern weil sie ganz der Sache verpflichtet sind. Das ist die künstlerische Freiheit, aus der sich eine an der Sache orientierte Sachlichkeit ableiten lässt. In den Unternehmen oder in der Wirtschaft fehlt diese Sachlichkeit. Die Art, wie Wirtschaft funktioniert, ist unsachlich!

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