Frank H. Wilhelmi im Gespräch mit Klaus Heid
Lahnau, 12. Juni 2002

»Der Kapitalismus verhindert unternehmerische Initiative«

Tatsächlich hat das Büro von Frank Wilhelmi (44) eine ausgezeichnete Akustik. Man versteht sich ohne jedes störende Nebengeräusch. Kein Wunder, denn die Wilhelmi Werke AG produziert Akustikdecken, >akustische Raumarchitektur<, wie es in der Firmenbeschreibung heißt. Das Gelände des Familienunternehmens wird von Produktionshallen beherrscht. Dazwischen befindet sich Frank Wilhelmis Büro in einem unauffälligen Gebäude, das man auf der Suche nach dem Klischee einer mittelständischen Firmenzentrale glatt verfehlen kann.

Dr. Hans Wilhelmi, der Großvater Frank Wilhelmis, gründete die Wilhelmi Werke 1927. Zunächst wurden Holzwolle und Verpackungsmaterialien hergestellt, 1947 folgte die Einrichtung eines Betriebslabors für die Entwicklung von Akustikplatten, zwei Jahre später startete deren Produktion. Die Wilhelmi Werke haben 200 Mitarbeiter und sind weltweit aktiv mit Schwerpunkten in Nordamerika und Südostasien. 1996 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, deren Vorstandsvorsitzender Frank Wilhelmi ist. Sein kultur-gesellschaftliches Engagement umfasst die Förderung von Architektur, Kunst und Wissenschaft, vom >Unternehmen Wirtschaft und Kunst – erweitert gGmbH< über den Bund Deutscher Architekten, die Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bis zur Fraunhofergesellschaft – um nur einige der zahlreichen Kooperationspartner zu nennen.

Neben der Entwicklung neuer, umweltfreundlicher Produkte, einer engagierten Mitarbeiterqualifikation und der Einbeziehung von Künstlern wie Enno Schmidt in Unternehmensprozesse, hat sich das Unternehmen in seinem umfangreichen Leitbild auch ein weit gestecktes gesellschaftspolitisches Ziel gesetzt: »Das Unternehmen wirkt innerhalb der eigenen Mitarbeiterschaft und durch Aktionen außerhalb des Unternehmens in der Öffentlichkeit auf einen evolutionären Wandel des zur Zeit eindimensional an der Gewinnerzielung orientierten Wirtschaftssystems hin. Zukünftiges Wirtschaften muss alle Aspekte und Voraussetzungen menschlicher Produktion beinhalten: Ökonomie, Ökologie, Bildungs- und Sozialwesen.«

Herr Wilhelmi, Sie stellen in Ihrem Unternehmen Akustikplatten her und thematisieren in Ihrer Firmenphilosophie sehr ausführlich das Hören und den Hörsinn. Welche Musik hören Sie persönlich gerne?

Frank Wilhelmi: Ich höre ganz unterschiedliche Musik, Klassik wie Klavierstücke von Schubert, aber auch Orgelkonzerte und Jazz von Ella Fitzgerald und Stan Getz.

Spielt Musik eine besondere Rolle für die Mitarbeiter in Ihrem Unternehmen? Veranstalten Sie beispielsweise Konzerte?

Frank Wilhelmi: Nein. Es wäre nahe liegend, aber unter dem Begriff der Akustik ist natürlich im Zusammenhang des Bauens etwas anderes zu verstehen, als im Bereich der Musik. Wir führen zwar auch Konzerthäuser aus, aber der Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Raumarchitektur in Zweckbauten wie Büro- und Verwaltungsgebäuden, Schulen und Krankenhäusern. Musik spielt in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle. Es geht in erster Linie um eine optimale Sprach- und Silbenverständlichkeit in Räumen, in denen konzentriert gearbeitet und kommuniziert wird, in denen Besprechungen und Konferenzen stattfinden. Wir stellen natürlich auch hier in unseren Räumen, in denen unsere Mitarbeiter arbeiten, eine gute Akustik her. Wir betreiben darüber hinaus in unseren Werkhallen mit Wissenschaftlern Hörforschung. Ein Audiologe der Universität Gießen erprobt hier Hörschutzmaßnahmen. Insofern bekommen unsere Mitarbeiter schon sehr intensiv und hautnah mit, wie wir uns mit diesem Thema auseinander setzen.

Sie haben sich in Ihrer Firmenphilosophie weit aus dem Fenster gelehnt. Denn Sie fordern einen >evolutionären Revolutionsprozess< des zur Zeit eindimensional am Gewinn orientierten Wirtschaftssystems. Wie kommen Sie zu dieser Haltung und wie versuchen Sie, den Revolutionsprozess umzusetzen?

Frank Wilhelmi: Ich komme zu dieser Haltung, indem ich meine eigene Arbeit hier im Unternehmen reflektiere und die Auswirkungen der Rahmenbedingungen kritisch beobachte, die unser herrschendes Wirtschaftssystem und die Globalisierung vorgeben – Auswirkungen auf meine eigene Arbeit, auf meine persönliche Arbeitsleistung und auf die meiner Mitarbeiter.

Was sind die Auswirkungen auf Ihre persönliche Arbeit?

Frank Wilhelmi: Ich fühle mich durch den Zwang zum Profit, der durch das gesellschaftliche System auf einen kapitalistisch wirtschaftenden Unternehmer ausgeübt wird, einerseits über- und andererseits unterfordert – und zwar als Mensch, als arbeitender Mensch.

Wodurch fühlen Sie sich überfordert?

Frank Wilhelmi: Überfordert fühle ich mich dadurch, dass mich die einseitig am Gewinn orientierte Wirtschaftsweise dazu zwingt, eine maximale Verzinsung des Kapitals der Aktionäre in diesem Unternehmen zu erwirtschaften, noch dazu im Hinblick auf einen sehr kurzfristigen Zeithorizont. Sehr langfristig angelegte unternehmerische Entscheidungen – wie Investitionsentscheidungen in Maschinen, aber insbesondere auch in die Weiterbildung und Schulung der Fähigkeiten meiner Mitarbeiter – sind in dem Zeithorizont dieser Kapitalrenditebetrachtung zu wenig oder nicht berücksichtigt.

Das heißt, die Planungsphasen sind zu kurz.

Frank Wilhelmi: Ja, das sind sie eindeutig. Darin liegt die Überforderung. Im Kontext der kapitalistischen Rahmenbedingungen kann man gesellschaftliche Veränderungen oder Veränderungen der Mitarbeiter nicht innerhalb des Unternehmens auffangen, sondern man ist gezwungen, beispielsweise auf Krisen am Markt mit Entlassungen zu reagieren.

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