Qualitätssteigerung durch Eigenverantwortung
Demokratisierung statt Ökonomisierung des Kunstsystems
Michael Lingner

Ein Unternehmen (sollte) schon etwas von der Eigenschaft der Sache bei sich führen, worauf es gerichtet ist; denn das ist ein wichtiger und wesentlicher Teil seiner Wirkung. Montaigne

Intro

Es ist zu einer ebenso banalen wie oft auch fatalen Tatsache geworden, dass Wirtschaftsunternehmen und -repräsentanten in zunehmender und vielfältiger Weise großen Einfluss auf das Geschehen in der Kunst nehmen. An den negativen Auswirkungen deren drohender totalen Verwirtschaftlichung besteht zwar kein Zweifel und wird immer wieder Kritik geübt. Doch wie überzeugend diese auch sein mag, so folgenlos bleibt sie faktisch. Dass die Wirtschaft sich von jeglicher Argumentation unbeeindruckt zeigt und allenfalls insoweit darauf reagiert, wie es ihr für das noch erfolgreichere Operieren im Kunstbereich nützt, ist freilich nur für etwas naive Gemüter überraschend.

Schließlich kann es jeder wissen und erfahren, dass für das üblich gewordene marktwirtschaftliche Geschäftsgebaren letztlich nichts anderes als die rigorose Durchsetzung der eigenen Interessen, die möglichst rasche Expansion und die aggressive Verdrängung konkurrierender Angebote zum Zweck des maximalen materiellen Erfolges zählt. Was sich individualpsychologisch im Extremfall als Omnipotenz- und/oder Suchtverhalten darstellt, erscheint gesamtgesellschaftlich betrachtet in einem anderen Licht. Titel betriebswirtschaftlicher Fachlektüre wie >Clausewitz für Manager< zeigen, dass die Wirtschaft auch nach ihrem eigenen Selbstverständnis den Regeln einer immerhin zwar entmilitarisierten, aber schlimmstenfalls nicht minder existenzvernichtenden Kriegsführung gehorcht. Insofern ist es nur logisch, wenn sich das System der Wirtschaft nicht auf den möglichst profitablen Absatz seiner Produkte beschränkt, sondern zunehmend offensiv auch die Verbreitung seiner Ideologie betreibt. Nicht länger nur noch nach der Eroberung von Märkten strebend, hat sich Wirtschaft auf diese Weise inzwischen verschiedener Kernbereiche unserer Gesellschaft bemächtigt. Nach der weitgehend gelungenen Übernahme von Politik und Medien, richten sich nun die Begehrlichkeiten auch auf Wissenschaft und Kunst als den gefürchteten und bewunderten Bastionen von Freiheit und Kultur.

Wer nicht auf die eher unwahrscheinliche Weisheit der Wirtschaft und ihren Willen zur Selbstbeschränkung warten will, sollte sich nicht darauf beschränken, deren Expansionismus zu beklagen. Zwar unbequemer, aber glaubwürdiger und aussichtsreicher ist es vielmehr, sich kritisch denjenigen gesellschaftlichen Teilbereichen selbst zuzuwenden, die von weitgehender Ökonomisierung betroffen sind. Bezogen auf das Kunstsystem haben demzufolge alle seine Akteure zuallererst sich selbst zu fragen, wie und warum es geschehen konnte, dass wirtschaftliche Ordnungsvorstellungen eine derartige Dominanz über künstlerische Wertvorstellungen haben erlangen können und was gegen diese klägliche Kapitulation und die damit einhergehende grassierende Geistlosigkeit zu unternehmen ist.

Insofern nach den vom Kunstsystem selbst zu verantwortenden Ursachen gefragt wird, leiden die nachfolgenden Überlegungen keineswegs unter Wirtschaftsfeindlichkeit. Was gern als überkommene Kapitalismuskritik diffamiert wird, ist im klassischen Sinne keine, da sie sich nicht aus (real-)sozialistischen Blütenträumen oder anderen fundamentalistischen Systemveränderungsphantasien nährt. Intendiert ist nicht mehr und nicht weniger, als dass die Akteure in der Kunst, statt weiter um ihrer eigenen gleichsam >wildgewordenen Selbsterhaltung< willen an betriebswirtschaftliche Offenbarungen zu glauben, sich auf die Regeln und Werte der künstlerischen Logik und Kultur besinnen. Nur unter dieser Voraussetzung könnten alle die Kunst betreffenden wesentlichen Entscheidungen primär nach deren internen Kriterien erfolgen, so dass von spezifisch künstlerischen Produktionen und Institutionen überhaupt noch mit Sinn und Recht zu reden ist. Aus überwiegend wirtschaftlichen Erwägungen dagegen lässt sich zwar manchmal ein gutes Geschäft, aber nie (gute) Kunst machen – ebensowenig übrigens wie solche ausstellen, beurteilen, lehren oder auch nur (an-)kaufen.

Jenes an sich erstaunliche Phänomen, dass die Akteure im Kunstsystem sowohl durch aktives wie unterlassenes Handeln dessen Ökonomisierung und damit die Bedrohung künstlerischer Kreativität und Geistigkeit betrieben haben, lässt sich in seiner Komplexität nur exemplarisch in den Blick bekommen. Als zentrale, gleichsam strategische Schnittstelle zwischen wirtschaftlichen und künstlerischen Interessen sind die Vergabeverfahren von Finanzmitteln zur Kunstförderung, ohne die kaum jemand den Übergang vom Kunststudium zur Kunstprofession schafft, ein besonders geeignetes Untersuchungsfeld. Die sich deswegen anbietende Thematisierung der Jury–(= Auswahl- und Ausschluss)problematik kann zudem von eigenen und andauernden Erfahrungen als Opfer wie als Täter in solchen Selektionsverfahren ausgehen. Darum fällt jede Kritik auch auf den Autor zurück, was sie zwar nicht weniger zutreffend, aber hoffentlich besser diskutierbar macht. Aber findet im Hinblick auf ein weitergehendes, sich nicht im bloßen Diskutieren erschöpfendes Handeln die Explikation und Eskalation von Differenzen überhaupt noch einen Raum und ihre Zeit? Funktionieren angesichts des momentan allseits zu beobachtenden Durchschlagens der nackten Machtverhältnisse nicht alle Diskurse auch im Kunst- und Wissenschaftsbetrieb inzwischen genauso nur als >Muzak<, als jene in Kaufhäusern, Flughäfen und Arztpraxen uns beruhigende Hintergrundmusik, deren Dasein sich in nichts anderem erfüllt, als überhört zu werden?

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